Tagesmeditation

JAHRESKREIS
12. WOCHE – DIENSTAG

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das heilige und das enge tor

Gespür für das Heilige.
Die zwei Wege.
Christliche Askese.

I. Der Herr warnt im heutigen Evangelium1 davor, das Heilige zu entweihen und es dem Alltäglichen und Profanen gleichzusetzen. Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen. »>Das Heilige< ist das Fleisch vom Opferaltar. Was davon nach dem Vollzug der heiligen Handlung übrigbleibt, darf man nicht den Hunden geben. Und wenn einer >Perlen< hat, so mag er sich hüten, sie den Schweinen hinzuwerfen - jenen halbwilden Herden, wie sie uns etwa bei dem Ereignis in Gerasa begegnen -, damit die nicht meinen, etwas zu bekommen, was sie fressen können, es dann enttäuscht zertreten und in ihrer Wut den anfallen, der es ihnen hingeworfen hat. Diese Gleichnisse warnen, das Geheimnis des heiligen Lebens falsch vor die Leute zu bringen. Man soll es hüten, damit es nicht entehrt wird. Man soll acht geben, daß der irdische Sinn sich nicht gereizt fühlt und, wie ein enttäuschtes, hungriges Tier, wütend wird. Eine Mahnung also, klug zu sein, denn die Menschen sind, wie sie sind, und der Herr ist kein Idealist.«2

Wer in einer kunsthistorisch berühmten Kirche den Durchzug der Touristen beobachtet, fühlt sich an diese Worte des Herrn erinnert. Viele haben das elementare Gespür für das Sakrale verloren: aus Unkenntnis – sie wissen nicht, was das Ewige Licht bedeutet und wer im Tabernakel zugegen ist – oder aus Unfähigkeit, jenseits des Nur-Alltäglichen das Mysterium zu gewahren. Als wolle man aus der Not eine Tugend machen, erheben manche diese unleugbare »Entsakralisierung« zum theologischen Programm: seit der Menschwerdung sei ja alles sakral, denn Christus habe die ganze Welt geheiligt; alles sei gleichermaßen heilig oder alles gleichermaßen profan.

Was heißt denn heilig? »Heilig, sacrum, heißt etwas kraft seiner Hinordnung auf den kultischen Gottesdienst, ad cultum divinum.«3 Dort ereignet sich am dichtesten die Präsenz des Göttlichen. Eine »heilige Handlung« wird zelebriert und ist »im Unterschied etwa zu einem rein innerlichen Akt des Gebetes, der Gottesliebe, des Glaubens, ein leibhaftiger Hergang, der sich in sichtbaren Formen, in der vernehmlichen Sprache von Anrede und Bescheid, in körperlicher Aktion und symbolischer Gebärde, in der Besonderheit von Gewändern und Geräten, in Verkündigung und Gesang, aber auch im gemeinsamen Schweigen darstellt.«4

Das heißt mit anderen Worten, daß die »im leibhaften Tun und im hörbar gesprochenen Wort realisierten >Symbole< nicht nur etwas bedeuten, sondern daß in ihrem Vollzuge genau das objektive Realität wird, was sie bedeuten: Reinigung, Tilgung der Schuld, Speisung durch den wahren Leib des Herrn - nicht aus der Kraft menschlicher Akteure und erst recht nicht aus der Potenz der dinglichen Symbole, sondern durch Gottes Kraft, die im sakramentlichen Geschehen das in Wahrheit allein Wirkende ist. (...) Wäre die heilige Handlung, vor allem die christliche Eucharistiefeier, nicht in solchem Sinne Sakrament, das heißt, fände in ihrem Vollzuge die besondere, ausnahmehafte Präsenz des Göttlichen nicht wirklich statt - dann wäre in der Tat die ganze Rede vom Sakralen im Grunde gegenstandslos.«5

Das Kleben am Oberflächlichen und der Kult des »Machens« versperren vielen den Blick für das sakramentale Geschehen; sie sehen darin lediglich eine rein menschliche Handlung, »in welcher – objektiv und >bewußtseinsunabhängig< - überhaupt nichts passiert, am wenigsten die reale Präsenz des Göttlichen. (...) Wer andererseits dessen gewiß ist, daß im Vollzug der heiligen Handlung, konkreter gesprochen, in der eucharistischen Mysterienfeier - vorausgeahnt, ersehnt und präfiguriert in allen menschheitlichen Kulten - das ganz und gar Exzeptionelle, das im absoluten Sinn Unalltägliche tatsächlich geschieht: Gottes leibhaftige Gegenwart unter den Menschen -, für den ist es eine blanke Selbstverständlichkeit, daß zugleich die Grenze gegen die Region des durchschnittlichen Lebensvollzuges besonders klar vor den Blick und in Kraft tritt. (...) Und mag die liturgische Feier gehalten werden in einer vorstädtischen Notkirche; im Tanzsaal des Diasporadorfes; in der Kathedrale, deren kostbare Halle mit ihren Glasbildern das himmlische Jerusalem symbolisiert; oder im Konzentrationslager, während durch die lebendige Mauer der Leiber für einige Minuten ein gegen den Zugriff der Henker notdürftig abgeschirmter Innenraum entsteht - eines ist allen diesen Orten gemeinsam: sie heben sich ab, durch die Armut nicht anders als durch Pracht und Überschwang, gegen das Gehäuse der Alltagsexistenz, gegen ihre tödliche Misere ebenso wie gegen ihr trügerisches Behagen und ihren Komfort.«6 Die heilige Messe und die Gegenwart des Herrn im Tabernakel erinnern uns ständig daran, daß unser Alltag aus der Kraft des Heiligen, Nichtalltäglichen leben soll.

II. Mit der Ausgießung des Heiligen Geistes bricht eine Zeit an, »in der Christus durch die Liturgie seiner Kirche sein Heilswerk kundtut, vergegenwärtigt und mitteilt, >bis er kommt< (1 Kor 11,26). Während dieser Zeit der Kirche lebt und handelt Christus fortan in und mit seiner Kirche auf eine neue, für diese neue Zeit eigene Weise. Er handelt durch die Sakramente.«7 Als Christus die sakramentale Struktur des Heiles begründete, löste er nicht die Grenzen zwischen dem Sakralen und dem Profanen auf. »Natürlich, das Christentum ist Sauerteig, das Sakrale ist nicht etwas Abschließendes und Abgeschlossenes, sondern etwas Dynamisches. Der Priester steht unter dem Auftrag: Geht hinaus in die Welt und macht die Menschen zu meinen Jüngern! (Mt 28,19) Aber diese Dynamik der Sendung, diese innere Offenheit und Weite des Evangeliums läßt sich nicht in die Formel umsetzen: Geht in die Welt und werdet selber Welt.«8

Gerade die Worte des heutigen Evangeliums vergegenwärtigen den Abstand zwischen den Erwartungen des Herrn und dem Lauf der Welt: Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn.

Bei Lukas stehen ähnliche Worte in einem anderen Kontext. Da fragt jemand den Herrn: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? War er vielleicht über die Unbedingtheit der Worte Christi schockiert? »Kann der Mensch so gesinnt sein und handeln? Die Gewalt im Raum der Güte auffangen und überwinden; auf Feindschaft nicht mit bösem Tun, ja nicht einmal mit bösen Gedanken, sondern mit Liebe antworten; vor dem Menschen des anderen Geschlechts Ehrfurcht haben bis in die innersten Regungen hinein; die verkündete Erneuerung so tief erfahren, daß davor das Irdisch-Wehtuende selig, das Menschlich-Beglückende aber gefährlich und verdächtig erscheint – kann er das?«9

Jesus gibt keine direkte Antwort, vielleicht um anzudeuten, es solle uns nicht um das theoretische Wissen über das Jenseits gehen, sondern um das eigene Heil: Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen, denn viele, sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen.10

Es gibt zwei Möglichkeiten, durch das Leben zu gehen: als Wanderer mit leichtem Gepäck, ohne uns von den Dingen am Weg ablenken zu lassen, dann suchen wir den Willen Gottes, auch wenn er manchmal mühsam ist und Zucht fordert; oder auf einer bequemen Route, vergnüglich und möglichst unbeschwert, ohne Opfergeist und Bußgesinnung.

Der eine Weg führt zum Himmel, der andere ins Verderben. Haben wir nicht manchmal das Gefühl, daß wir es uns zu leicht machen? Sind wir wirklich bemüht, uns vor den kleinen Opfern im Alltag nicht zu ducken? Worum ist es uns wirklich zu tun?

III. Wer sein Leben stets auf das endgültige Ziel ausrichtet, erkennt unter den geschaffenen Dingen eine klare Rangordnung: »Es gibt alltägliche, wie jene, die zum physischen Leben gehören; gibt darüber etwa die Werte der Berufsführung; noch einmal höher die der personalen Beziehungen und des geistlichen Werkes; endlich jene, welche sich unmittelbar im Verhältnis zu Gott erfüllen. Wir verwirklichen diese Werte mit den Kräften unseres lebendigen Seins; die aber sind begrenzt, und wir müssen uns klar werden, an welche Aufgaben wir sie wenden wollen. Opfer und Anstrengung – und das eben ist Askese.«11

Der christliche Geist der Entsagung erhebt, über die Integration der überbordenden Kräfte der Natur hinaus, das asketische Ringen ins Übernatürliche und stellt es in die Kreuzesnachfolge: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.12 Solche Mühe – ein Sterben – ist fruchtbar: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.13

Gelten aber nicht für viele die Worte des Gleichnisses: Unter die Dornen ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort zwar hören, dann aber weggehen und in den Sorgen, dem Reichtum und den Genüssen des Lebens ersticken, deren Frucht also nicht reift.14 Ihr einziges Lebensziel wird mehr und mehr das Besitzenwollen; sie »sind von der Wirtschaft geradezu versklavt, so daß fast ihr ganzes persönliches und gesellschaftliches Leben von ausschließlich wirtschaftlichem Denken bestimmt ist«15. Gerade in einem solchen materialistisch geprägten Umfeld sind im Gegenzug Zucht und Maß ein wirksames apostollsches Zeugnis, das – einfach und anziehend für viele zum Beginn einer beglückenden Begegnung mit dem Herrn werden kann.

= 15. Gerade in einem solchen materialistisch geprägten Umfeld sind im Gegenzug Zucht und Maß ein wirksames apostolisches Zeugnis, das – einfach und anziehend – für viele zum Beginn einer beglückenden Begegnung mit dem Herrn werden kann.Askese schafft jenen Freiraum, der nötig ist für die Nähe zum Herrn, aber auch – auf rein natürlicher Ebene – für die Besserung des eigenen Lebens: »Ähnlich wie man Stein oder Holz bearbeitet, müssen wir Tag für Tag im Geist der Buße die eigenen Unebenheiten glätten, die Fehlhaltungen in unserer Lebensweise. Dies geschieht durch zweierlei Arten von kleinen Abtötungen: durch die, die wir freiwillig suchen – wie man im Laufe des Tages kleine Blumen sammelt -, und die anderen, die wir erleiden«16. Hin und wieder handelt es sich um echte Prüfungen, meistens aber um Kleinigkeiten, die den Leib in Zucht halten und den Geist für die Dinge Gottes frei machen. Deshalb die Empfehlung: »Dem Körper muß man etwas weniger geben als notwendig. Sonst übt er Verrat.«17

Die innere Abtötung zügelt Phantasie und Erinnerung, sie entzieht dem Klatsch und vulgären Gesprächen den Boden. Die kontinuierliche Abtötung der äußeren Sinne enthebt uns allen möglichen Zwängen: der Sucht nach Genuß, nach übertriebener Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden, den neuesten technischen Finessen nachzulaufen, der Gier nach Bildern, die uns die Medien frei Haus liefern.

Der Herr spricht vom engen Tor und vom schmalen Pfad; er will, daß wir nicht zu Sklaven des Irdischen werden; und da er nie fordert, ohne im Überfluß zu geben, schenkt er uns inmitten dieses Kampfes tiefinnerliche Freude und Frieden. Wir entdecken dann: »Das Kreuz ist kein Schafott mehr, sondern der Herrscherthron Jesu Christi. Neben unserem Herrn steht Maria, seine Mutter, die auch unsere Mutter ist. Sie möge dir die Kraft erwirken, die du brauchst, um entschlossen den Schritten ihres Sohnes zu folgen.«18

1 Mt 7,6.12-14. – 2 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.95. – 3 Thomas von Aquin, Summa theologica, II-II,q.99,a.1. – 4 J.Pieper, Über die Schwierigkeit, heute zu glauben, München 1974, S.40. – 5 ebd., S.42. – 6 ebd., S.42-44. – 7 Katechismus der Katholischen Kirche, 1076. – 8 J.Ratzinger, Diener eurer Freude, Freiburg 1988, S.108. – 9 R.Guardini, a.a.O., S.100. – 10 Lk 13,23-24. – 11 R.Guardini, Tugenden, Mainz 1987, S.85. – 12 Lk 9,23. – 13 Joh 12,24. – 14 Lk 8,14. – 15 II.Vat.Konz., Konst. Gaudium et spes, 63. – 16 J.Escrivá, Im Feuer der Schmiede, Nr.403. – 17 J.Escrivá, Der Weg, Nr.196. – 18 J.Escrivá, Freunde Gottes, 141.